K. Kaiser: Wirtschaft, Wissenschaft und Weltgeltung

Cover
Titel
Wirtschaft, Wissenschaft und Weltgeltung. Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien am Botanischen Garten und Museum Berlin (1891–1920)


Autor(en)
Kaiser, Katja
Reihe
Zivilisationen und Geschichte / Civilizations and History / Civilisations et Histoire (66)
Erschienen
Anzahl Seiten
562 S.
Preis
€ 94,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Sophie Overkamp, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Tübingen

Hitze, Schwüle, üppiges Grün bis hinauf in die Glaskuppel und prächtig blühende Pflanzen – auch wer heute das tropische Gewächshaus eines Botanischen Gartens besucht, fühlt sich in eine andere, fremde Klimazone versetzt, die wenig mit der mitteleuropäischen Umgebung gemein hat. Um wie viel exotischer noch müssen diese Pflanzenwelten auf das Publikum des Kaiserreichs gewirkt haben, das weitaus weniger mobil und somit stärker auf Phantasiereisen angewiesen war.

Doch es war ein Publikum, zu dessen Wirklichkeit die koloniale Expansion und die damit einhergehende Unterwerfung der nicht-westlichen Welt mitsamt ihren natürlichen Schätzen gehörte. Pflanzen- und Wissenstransfer spielte hierbei eine zentrale Rolle. Während dies für das niederländische, vor allem aber das britische Kolonialreich gut erforscht ist, hat die deutsche Botanik bisher nur vereinzelt die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen.1 Katja Kaiser hat sich nun diesem Desiderat angenommen und auf Basis ihrer an der Freien Universität Berlin entstandenen Dissertation eine umfangreiche Studie zur Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien in Berlin vorgelegt. Diese existierte von 1891 bis 1920 und war die „primäre Vermittlungsstelle für die globale Zirkulation von Pflanzenmaterial aus den Kolonialgebieten sowie von botanischem Wissen“ (S. 20f.). Nicht ganz erschließt sich die prominente Platzierung von „Wirtschaft“ im Titel, da zwar die Rolle der Botanik bei der wirtschaftlichen Erschließung der Kolonien betont, jedoch nicht wirklich systematisch untersucht wird.

Ihrem Forschungsgegenstand nähert sich die Autorin auf mehreren Ebenen. So beginnt sie die Untersuchung mit einer Erläuterung des Umschlagfotos, dass das im Kolonialstil erbaute Wohnhaus eines aus Leipzig stammenden Gärtners in Kamerun zeigt und auf dessen Tätigkeit als Sammler von Pflanzen und Exotika verweist. Der Einleitung ist die Abbildung eines Exponats einer kürzlich organisierten Ausstellung zum Thema Kaffee vorgelagert, um auf die zentrale Bedeutung der Nutzpflanzen für die ökonomische und politische Expansion hinzuweisen. Auch Dachboden- und Kellerfunde im Botanischen Museum (ein Wardscher Kasten, der zum Pflanzentransfer benutzt wurde, und ein Herbarbeleg) finden ihren Platz in der Untersuchung – an ihnen erläutert Kaiser anschaulich koloniale Praktiken wie die Klassifizierung und Systematisierung des Fremden, transimperiale Wissenstransfers und wirtschaftliche Ausbeutung. Schließlich exemplifiziert sie an einer mehrfach überlieferten Photographie von afrikanischen Arbeitern auf der Plantage Kyiambila die vielfältigen Netzwerke der Botanischen Zentralstelle sowie deren fortwirkenden Nachlassenschaften.

Überwiegend fußt die Untersuchung jedoch auf schriftlichen Quellen: Sammlungsdokumente des Botanischen Museums, Publikationen, Gutachten und Korrespondenzen aus dem Umfeld der Botanischen Zentralstelle sowie Akten des Preußischen Kultusministeriums. Ergänzt werden diese Bestände noch durch die Akten kolonialer Interessenverbände und des Reichskolonialamtes, so dass die Quellenbasis trotz der Kriegsverluste des Botanischen Museums als gut bezeichnet werden kann.

Diese Quellengrundlage wird in der Einleitung klar benannt. Ebenso legt die Autorin den Forschungsstand und ihre Methoden dar. Dabei ist auffällig, dass obwohl Kaiser explizit einen institutionengeschichtlichen Ansatz verfolgt, um das koloniale Erbe des Botanischen Gartens und Museums in Berlin aufzuarbeiten, der Begriff „Institution“ nicht problematisiert wird und auch kein Bezug zur Institutionenforschung hergestellt wird.2 Umso gründlicher verortet sie ihre Arbeit dafür als Teil der New Imperial History, konkreter noch der Science and Empire Studies, und referiert konzise die hauptsächlich englischsprachige Forschung. Dabei nimmt sie Ansätze auf, die vor allem fürs britische Empire erprobt wurden. Für Kaiser, die auch zum Feld der vergleichenden Kolonialgeschichtsschreibung beitragen möchte, stehen die interimperialen und internationalen Verflechtungsstrukturen von Institutionen und einzelnen Akteure im Vordergrund. Dies gilt vor allem für die Beziehungen zwischen der Botanischen Zentralstelle und den Royal Botanic Gardens in Kew (London) sowie die Orientierung an der niederländischen Forschungseinrichtung Buitenzorg auf Java. Beide Institutionen bildeten auch für die Zeitgenossen den Referenzrahmen sowohl in der anwendungsbezogenen als auch in „reinen“ Wissenschaft. Diesen internationalen Beziehungsgeflechten standen wiederum solche von auf nationaler und lokaler Ebene gegenüber, die sich hauptsächlich im Konkurrenzdenken der Berliner Institutionen gegenüber anderen botanischen Einrichtungen im Kaiserreich äußerten.

An die Einleitung schließt ein mit „zooming in“ betiteltes, kürzeres Kapitel an, das in den zeitgenössischen Kontext der Gründung der Botanischen Zentralstelle einführen soll. Dabei wird die Geschichte des deutschen Kolonialerwerbs und deren Bewirtschaftung kurz referiert sowie die Bedeutung des Pflanzen- und Wissenstransfers im Rahmen der europäischen Expansion hervorgehoben. Hierauf folgt mit Kapitel III und IV der Hauptteil, auf den noch ein „zooming out“ sowie ein Ausblick auf heutige Problemstellungen wie der Restitutionsdebatte und schließlich die Schlussbemerkung mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse folgt.

Kapitel III stellt die Gründungsphase der Botanischen Zentralstelle ab 1888 dar und zeichnet deren Einbindung in das koloniale Projekt nach. Denn auf Wunsch des Auswärtigen Amtes sollte die neu einzurichtende Zentralstelle durch Untersuchung, Anzucht und Versand tropischer Nutzpflanzen das kolonialwirtschaftliche Vorhaben entscheidend unterstützen. Allen Akteuren galten dabei die britischen und niederländischen Einrichtungen als nachahmenswerte Vorbilder, die manchen der involvierten Botaniker auch durchaus aus eigener Anschauung bekannt waren. Doch Kew und Buitenzorg waren nicht nur Vorbild: mitsamt zahlreicher anderer Botanischer Gärten bildeten sie ein weltweit gespanntes Tausch- und Wissensnetzwerk, in das die deutschen Einrichtungen aktiv eingebunden waren. Im zweiten Teil des Kapitels kann Kaiser nachweisen, dass die Verlegung des Botanischen Gartens von Schöneberg nach Dahlem nicht mit den kolonialen Zusatzaufgaben der Einrichtung in einem ursächlichen Zusammenhang stand. Nichtsdestotrotz bildeten in der neuen Anlage die tropischen Nutzpflanzen und die Vegetation der deutschen Kolonialgebiete sowohl in den Schau- als auch den Studiensammlungen einen besonderen Schwerpunkt. Die botanischen Einrichtungen – die Zentralstelle war auch personell mit dem Botanischen Garten und dem Botanischen Museum untrennbar verbunden – beteiligten sich somit sowohl an der Produktion als auch der Popularisierung von Wissen über das Kolonialreich und unterstützen durchaus breitenwirksam das koloniale Projekt.

In Kapitel IV widmet sich die Arbeit den eigentlichen Aufgaben der Botanischen Zentralstelle: dem Pflanzentransfer, der wissenschaftliche Bearbeitung der kolonialen Flora und Bestimmung des Nutzwertes der Pflanzen sowie der Ausbildung von gärtnerischem Fachpersonal und allgemein der Wissensvermittlung. Es ist spannend zu lesen, wie der Direktor des Botanischen Gartens, Adolf Engler, neue Aufgabenfelder für die Botanische Zentralstelle entwickelte, um deren Bedeutung für das koloniale Projekt (und die daran geknüpfte Finanzierung) zu erhalten, nachdem die ursprüngliche Aufgabe des Pflanzentransfers mehr oder weniger abgeschlossen war. Hierzu suchte er die Zentralstelle als die Ausbildungsstätte für Tropengärtner zu etablieren, unterstützte werbewirksame Veranstaltungen für die Kolonien und suchte gerade im Großen Tropenhaus (Abb. Auf S. 226–227) bei den Besuchern starke Bilder zur evozieren und Emotionen zu wecken, um ihnen als „Kolonialbesitzern“ einen Begriff der dortigen Vegetation zu verschaffen.

In diesem sehr gelungenen Teil macht Kaiser deutlich, dass die damalige Wissenschaft und Kolonialexpansion nicht voneinander zu trennen sind. Die botanischen Einrichtungen in Berlin, wie auch das Völker- und das Naturkundemuseum, profitierten enorm von der gewaltsamen Unterwerfung anderer Erdteile durch das Anwachsen ihrer Sammlungen, der Bereitstellung von Geldern für Personal sowie die Möglichkeit zur Publikation. Zugleich bewirkte die Durchsetzung der von Europa geprägten Vorstellungen eine bis heute fortwirkende epistemische Kolonisierung. Hervorzuheben ist an diesem Kapitel auch Kaisers Bemühen, den Beitrag indigener Akteure an Sammlungspraxis und Wissenserwerb zu würdigen.

Alles in allem ist der Verfasserin eine überzeugende Arbeit gelungen, welche die Bedeutung der botanischen Einrichtungen nicht nur für das deutsche Kolonialreich, sondern auch die transimperialen Bezüge ihres Forschungsgegenstands deutlich herausarbeitet – die selbstgestellte Aufgabe wird somit erfüllt. Auch die Passagen zur Sammlungspraxis und der bis heute nachwirkenden kolonialen Einbettung lesen sich mit Gewinn und machen deutlich, dass die botanischen Einrichtungen ebenso wie das Museum für Naturkunde und das Ethnologische Museum institutionalisierte Träger des wissenschaftlichen Kolonialismus waren. Hierbei bestätigt die Arbeit vor allem bereits vorliegende Befunde. Dagegen bleibt die Darstellung indigener Akteure und deren Beitrag zum Wissenstransfer eher blass, auch weil die Quellen kaum „gegen den Strich“ gelesen werden.3 Der konzeptionelle Ertrag der Arbeit bleibt somit eher gering. Eine etwas stärkere Leserführung, die Vermeidung mancher Redundanzen und Glättung einiger sprachlicher Unebenheiten, sprich ein ordentliches Lektorat, hätten des Weiteren das Lesevergnügen erhöht. Auch soll kritisch angemerkt werden, dass der Verlag für die Rezension kein Druckexemplar zur Verfügung gestellt hat. Nichtsdestotrotz schließt die Arbeit eine wichtige Forschungslücke, rückt sie doch die Botanik auf den ihr gebührenden Platz als einer Leitwissenschaft des deutschen Kolonialismus.

Anmerkungen:
1 Lucile H. Brockway, Science and Colonial Expansion. The Role of the British Royal Botanic Gardens, New York 1979; Donal P. McCracken, Gardens of Empire. Botanical Institutions of the Victorian British Empire, London 1997; Richard H. Drayton, Nature’s Government. Science, Imperial Britain and the “Improvement” of the World, New Haven 2000; Andrew Goss, The Floracrats. State-Sponsored Science and the Failure of the Enlightenment in Indonesia, Madison 2011.
2 Vgl. etwa Reinhard Blänkner / Bernhard Jussen (Hrsg.), Institution und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998; Bernard Löffler, Moderne Institutionengeschichte in kulturhistorischer Erweiterung, in: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 155–180.
3 Vgl. hierzu die von Kaiser zwar genannte, aber kaum berücksichtige Arbeit Ann L. Stoler, Along the Archival Grain. Epistemic Anxieties and Colonial Common Sense, Princeton 2009.

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